Wie funktioniert die Vergessenskurve und wie kann man ihr entgegenwirken?

Schon im 19. Jahrhundert hat der Psychologe Prof. Dr. Ebbinghausen in einem Selbstversuch festgestellt, dass er gelernte Inhalte in einem bestimmten Zeitrahmen wieder vergaß. Während er 20 Minuten nach einer Lerneinheit noch 60 % des Gelernten abrufen konnte, lag dieser Wert am nächsten Tag bei nur noch 34 %. Die genauen Werte dieser Vergessenskurve sehen bei jedem Menschen unterschiedlich aus: feststeht, dass wir gelernte Inhalte mit der Zeit vergessen. Das ist nicht nur vollkommen natürlich. Du kannst dir dieses Wissen sogar für deine nächste Lerneinheit zunutze machen!

Immer dann, wenn wir die Vergessenskurve durch nochmaliges Wiederholen der Inhalte unterbrechen, dauert es länger, bis ein erneutes Vergessen einsetzt. Je öfter wir den zu lernenden Stoff über einen längeren Zeitraum in Spaced-Repetition-Intervallen wiederholen, desto besser gelingt es uns, die Inhalte ins Langzeitgedächtnis zu überführen.

Jeder Mensch ist verschieden und selbstverständlich lernen wir auch alle unterschiedlich – von der Spaced-Repetition-Methode kann trotzdem jede und jeder profitieren, da sie sich leicht an verschiedene Herangehensweisen anpassen lässt. Egal, mit welchem System du lernst, Spaced Repetition kannst du sicher integrieren! Hier findest du ein paar Beispiele, wie du Spaced Repetition anwenden kannst:

• Beim Vokabeln lernen: Hier nutzen viele Schülerinnen und Schüler bereits die Spaced Repetition Methode. Wie du sicher aus eigener Erfahrung weißt, bleiben nach dem ersten Durchgang nur wenige der neuen Vokalen hängen. Nach einem zweiten oder dritten Durchlauf sitzen sie schon besser und wenn man sie regelmäßig wiederholt, bleiben die Vokabeln im Langzeitgedächtnis. Dadurch, dass du die Wiederholungen zeitlich verteilst, wirkst du deiner persönlichen Vergessenskurve entgegen und kannst dir die Vokabeln langfristig merken.
• Lernen mit Karteikartensystem: Nicht nur das Vokabelnlernen funktioniert mit der Spaced-Repetition-Technik. Flashcards kannst du für jedes Fach verwenden und, kombiniert mit dem richtigen System, nutzt du auch hier Spaced Repetition. Eine Software oder auch ein Lernplan helfen dir, Intervalle festzulegen, in denen du den Stoff wiederholst und so die Vergessenskurve überlistest.
• Lernen mit Mitschriften: Karteikarten anzufertigen bedeutet einen hohen Arbeitsaufwand, weshalb viele Schülerinnen und Schüler gerne mit ihren Mitschriften lernen. Prinzipiell kannst du natürlich auch hier die Spaced-Repetition-Methode nutzen. Damit du die Inhalte aber auch tatsächlich im Kopf behältst, reicht es nicht aus, in gewissen Abständen deine Notizen durchzulesen und Wichtiges zu markieren. Deswegen empfehlen wir dir, Spaced Repetition und Active Recall immer in Kombination zu verwenden. Wenn du mit deinen Mitschriften lernen möchtest, kannst du zum Beispiel mit einem Tabellensystem arbeiten: Auf der linken Seite sind deine Notizen und auf der rechten Seite formulierst du Fragen, die du dann beim Lernen beantworten musst.
• Lernen mit Lernplan: Ob ein Spaced-Repetition-Lernplan für dich sinnvoll ist, hängt von deiner Lernmethode und natürlich deiner Persönlichkeit ab. Viele Menschen können nicht einschätzen, wie lange sie für die Erarbeitung eines Themas benötigen und wie viel Zeit sie für die einzelnen Wiederholungen ansetzen sollten. Deshalb fühlen sich viele Schülerinnen und Schüler von einem Spaced-Repetition-Plan unter Druck gesetzt. Vielleicht hilft es dir aber, alle Themengebiete aufzulisten, die du für deine Klausur wissen musst und dann jeweils daneben zu notieren, wann du dieses Thema wiederholt hast. So hast du einen Überblick über deinen Stoff und noch notwendige Wiederholungen, ohne dabei genau vorausplanen zu müssen. Notiere dir am besten auch, wie gut das Wiederholen geklappt hat, sodass du weißt, ob du zusätzliche Wiederholungseinheiten ansetzen solltest.

Bei der Methode Spaced Repetition kommt es vor allem auf sinnvolle Intervalle und konsequentes Wiederholen an. Damit das klappt, können technische Hilfsmittel praktisch sein und die Hemmschwelle für das Lernen verringern. Im App Store findest du zahlreiche Apps und App-Gruppen, die dir helfen können:

• Karteikarten Apps für Spaced Repetition – Anki und mehr: Handschriftliche Karteikarten anzufertigen ist zeitaufwendig, außerdem müssen diese anschließend sortiert und auch mitgenommen werden, damit du sie zum Lernen nutzen kannst. Karteikarten-Apps kannst du praktisch im Bus oder beim Warten auf den Zug verwenden – das Handy ist fast immer dabei. Auch können oft Daten aus vorgefertigten Skripten übernommen werden, was den Erstellungsprozess erleichtert, sodass du gleich mit dem Lernen starten kannst. Einige Apps, die sich hierfür gut eignen, sind StudySmarter oder Anki für Spaced Repetition.
• Quiz erstellen: Viele Lernspiele oder selbst erstellte Wissenstests nutzen Spaced Repetition als Ansatz. Apps wie Quizlet verwenden die Spaced-Repetition-Methode für Flashcards, Spiele und mehr.
• Spaced Repetition beim Notizen erstellen: Ob du dein Notizbuch oder eine App zum Anfertigen deiner Notizen verwendest, ist prinzipiell egal. Ob handschriftlich, mit Notion oder Obsidian – Spaced Repetition kannst du immer anwenden. Denn bei der Lernmethode kommt es nicht auf die Art der Mitschrift an, sondern darauf, wie du sie für deine Wiederholungen nutzt. Für Spaced Repetition mit Notion oder Obsidian hilft dir kein app-interner Algorithmus bei der Wiederholung – du musst dir also selbst einen Plan mit notwendigen Wiederholungsdurchgängen erstellen.
• Planung: Nutzt du eine Quiz- oder Flashcard-App für Spaced Repetition, ist eine weitere Planung meist überflüssig. Die App berechnet die für dich sinnvollen Intervalle und erinnert dich an deine Lerneinheiten. Nutzt du eigene Notizen oder handschriftliche Karteikarten, ist etwas mehr Planung vonnöten, um den Überblick zu behalten. Planungs-Tools für deine Spaced Repetition wie Excel eignen sich, um im Tabellenformat Wiederholungsdurchläufe zu kennzeichnen.

Spaced Repetition ist für dich völliges Neuland und du möchtest gerne erfahren, wie du das System für dich personalisieren kannst? Keine Sorge, es gibt zahlreiche Influencer und Influencerinnen, die dir zeigen, wie du Spaced Repetition für dich nutzen kannst:

• Ali Abdaal: Erstellt verschiedene Videos und Videoformate zu evidenzbasiertem Lernen und erklärt dir, wie du Spaced Repetition in deinen Alltag integrieren kannst.
• Unjaded Jade: Hat Cognitive Science studiert und klärt auf ihrem YouTube-Channel über unterschiedliche Lernmethoden und -gewohnheiten auf.
• Jani Jäckel: Anwendungsmöglichkeiten der Spaced Repetition und weitere Lernformate findet ihr auf Janis YouTube-Channel.

Du hättest gerne mehr Hintergrundwissen und suchst nach einem Buch zum Thema?

• make it stick (deutsch: Das merk’ ich mir!): Die drei Autoren Peter C. Brown, Henry L. Roediger und Mark A. McDaniels erklären hier, welche Lerntechniken sinnvoll sind, wie du diese nutzen kannst und welche Lernmethoden sogar kontraproduktiv sind. Spaced Repetition ist auch hier ein wichtiges Thema, wird aber durch weitere Hinweise, Lerntechniken und Hintergrundwissen ergänzt.
• The Only Study Guide You’ll Ever Need: Jade Bowler (Inhaberin des YouTube-Channels „Unjaded Jade”) teilt hier nicht nur ihre Lernerfahrungen aus Schule und Universität, sie erklärt auch mithilfe der Kognitionswissenschaft, welche Lernmythen es gibt, wie wir effektiver lernen können und welche Tricks dir bei deiner nächsten Klausur helfen können.
• Learn Like Einstein: Memorize More, Read Faster, Focus Better, and Master Anything With Ease: Der Psychologe Peter Hollins stellt in diesem Buch verschiedene Taktiken vor, um schneller und effizienter zu lernen. Spaced Repetition ist nur eine von vielen.